
Werner Holzer:
Weltbürger in besten Sinne
Werner Holzer, fast zwei Jahrzehnte Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, ist am 14. November 2016 im Alter von 90 Jahren gestorben. Wir dokumentieren den Nachruf der FR – geschrieben von Richard Meng, heute Vorsitzender des Kuratoriums der Karl-Gerold-Stiftung.
Die große Bühne hatte er schon eine ganze Weile hinter sich. Aber wenn Werner Holzer dann doch nochmal irgendwo am Mikrofon stand, war seine Ausstrahlung wieder spürbar. Plötzlich waren sie weg, die Zeichen des Alterns. Die Spannung war wieder da, das Charisma sowieso, die Stimme laut, klar und eindringlich.
Da stand jemand, der etwas zu sagen hatte, auch mit über 80 Jahren noch. Einer, der sich auskannte und das zeigte. Einer, der vieles erlebt und vieles geprägt hat. Die Frankfurter Rundschau ganz besonders, deren Chefredakteur er über fast zwei Jahrzehnte zwischen 1973 und 1991 war.

Nur ein paar Wochen nach seinem 90. Geburtstag ist Werner Holzer nun gestorben. Überraschend für viele, die seinen wachen Geist schätzten und wussten, wie er bis in seine letzten Tage hinein innerlich teilnahm an den Entwicklungen in dieser Welt, die gerade an so vielen Stellen dabei ist, sich von den liberaldemokratischen Idealen eines Werner Holzer wieder zu entfernen.
Es waren, wie immer, die großen Fragen und weniger die kleinen, die ihn dabei beschäftigten. Nicht zuletzt die Frage, was jetzt aus Kontinenten wie Afrika werden wird, das er seit den vielen Reisen in seinen Reporterjahren so gut kannte wie wenige andere.
Ein Afrika, wo die Verzweiflung der jungen Generation inzwischen – vielleicht würde er es sogar selbst so formulieren – zum Himmel schreit. Und nicht nur dort. Die Rückentwicklung des Politischen zur bornierten Macht- und Interessensicherung wird allgegenwärtig.
Werner Holzer war ein Weltbürger im besten Sinn. Einer, der schon zu einem Zeitpunkt global dachte, als die west-bundesrepublikanischen Intellektuellen sich noch aufmachten, wenigstens europäisch zu empfinden. Er war ein Journalist, für den dieser spannende Beruf zunächst mal zu tun hatte mit der Annäherung an den Gegenstand. Mit Reisen, mit Entdecken, mit Verstehen – und dann mit Berichten. Einer, dessen Neugierde auf die Welt echt war und nicht vorurteilsgetrieben.
Einer, der nie dazu tendierte, sich den leichten Reim auf diese Welt zu machen. Sondern der Einwände gelten ließ, auch wenn es nicht seine eigenen waren. Weil er selbst oft genug erlebt hatte, wie viele Sichten es auf dasselbe vertrackte Ding geben kann. Warum das heute noch wichtig ist? Er stand für einen Journalismus, der es zunehmend schwer hat, soweit es ihn denn noch gibt.

Ein Journalismus, der sich zunächst überhaupt mal hinbewegt zu seinem Gegenstand, wie es gute Reporter tun. Der eintaucht, in großer innerer Unabhängigkeit. Der diesem Gegenstand zudem mit Respekt begegnet. Mit kulturellem Respekt, aber auch mit Respekt vor den Anstrengungen anderer, und seien es Politiker, über die dann zu berichten ist. Mit Respekt vor den Realitäten, so wie sie sind.
Ein Journalismus, der es nicht nötig hat, sich ständig selbst zu überhöhen. Der aber gerade deshalb, ethisch-moralisch, hoch steht. Es waren die Reporterjahre in Afrika, in Vietnam und den USA, die den Journalisten Holzer prägten. Seine Empathie für fremde Kulturen und ihre Benachteiligung in der kolonialen und nachkolonialen Welt kam daher.
Sein tiefes Vertrauen in die Kraft der Aufklärung, nicht zuletzt in den liberalen Teil der US-amerikanischen Gesellschaft. Vielleicht auch seine manchmal spürbare Skepsis gegenüber schnellen, radikalen Antithesen zum Bestehenden, wie sie nach den späten 60er Jahren im damaligen linksliberalen Deutschland Mode geworden waren.
Mode jedenfalls aus seiner, dann manchmal doch schon etwas graumelierten Sicht des weltläufigen Chefredakteurs einer FR, deren engagierte Redaktion in all den innenpolitischen Turbulenzen um Aufbruch, Reform und neue soziale Bewegungen überregional Forum und Motor sein wollte – und es auch war.

In diesen Schlüsseljahren, als eine neue Generation die Schatten des autoritären Spießertums endgültig abschüttelte, war der 1926 geborene Chefredakteur so etwas wie der Mann für die größeren Horizonte. 1973 war er nach den Reporterjahren (unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“ und die Frankfurter Rundschau) zurück nach Frankfurt gekommen und als Nachfolger des FR-Gründers Karl Gerold an die Spitze der Redaktion gerückt, flankiert von einer Reihe journalistischer Weggefährten aus seiner Generation.
Wie Liberalität kulturprägend und befreiend sein kann: Unter Holzer war das nicht zuletzt innerhalb der Redaktion zu spüren. Er hat Journalisten und Journalistinnen geholt und gehalten, die wahrlich nicht auf irgendeiner gemeinsamen Linie waren.
Die FR-Redaktion als bunte Mischung, im Nebeneinander spannender Menschen, sehr unterschiedlich, kulturell wie politisch, aber durchweg anspruchsvoll, auch in intellektueller Hinsicht, geführt von einem Chef mit Rückgrat, dem nicht alles gefiel und gefallen musste, aber der Vertrauen gegen Vertrauen setzte: Dies war die Zeit, als die FR in all ihrer journalistischen Vielfalt bundesweit meinungsprägend wurde. Weit mehr als heute gehörte in jenen Jahren in Deutschland noch das „Nie wieder“ zu den täglichen Emotionen und zum politischen Denken dieses Journalismus.
Der gebürtige Saarländer Holzer hatte den barbarischen Krieg noch als Soldat erlebt. Ein Jugendlicher seiner Zeit, bei Kriegsbeginn war er 13, erwachsen werdend in einer Zeit der Meinungsdiktatur. Mit 19 Jahren war er 1945 aus diesem Krieg zurückgekommen. Erst danach war Zeit, in Bayern das Abitur abzulegen. Eine Reihenfolge, die typisch war für viele in seiner Generation.
Auch das Nachkriegsbayern hatte ihn geprägt. Eine gewisse Faszination für München und die barocke innere Ruhe dieser Bayern war ihm später in Frankfurt noch anzumerken. Damit verbunden aber auch: ein unerschütterlicher Optimismus. Ein tiefer Glaube an den zivilisatorischen Fortschritt in der Welt, selbst wenn der immer wieder erkämpft werden musste. Das sichere Bewusstsein, auf der Seite des Fortschritts zu stehen.
Dies ist der Punkt, an dem die Jahrzehnte nach seiner Redaktionszeit besonders ernüchternd waren – auch und gerade für einen wie Werner Holzer. Dazu kam der wirtschaftliche Druck auf einen anspruchsvollen Journalismus, den er in seinen Zeiten als Chefredakteur noch konsequent von der Redaktion fernhalten konnte.
Und dann die Allgegenwart der digitalen Welt, in der bewusstes, langsames Reisen und Recherchieren eher zu einer Randdisziplin wurde. Zu einer Nische, die manche sich vielleicht noch leisten, der aber die meinungsbildende Relevanz abhanden kommt. Wie nach und nach womöglich dem aktualitätshechelnden Journalismus insgesamt.
Das sind heute sehr andere Zeiten, als es die des Weltbürgers im Amt des Chefredakteurs waren. Doch gerade deshalb wird es wieder so wichtig, an seine Maßstäbe zu erinnern. An seine – meistens jedenfalls vorhandene – Gelassenheit im Gerangel des Alltags. An seine neugierige Offenheit. Aber auch an seinen weiten Horizont und an seine Entschiedenheit in den großen Fragen. An einen großen Journalisten.
Mehr zum Thema: Immer ganz nah am Geschehen. Eine Würdigung zum 90. Geburtstag Holzers von Roderich Reifenrath – Holzers Nachfolger als FR-Chefredakteur.